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Kongress 2017

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Warum dieser Kongress?

3 Tage
80 Veranstaltungen
100 Referent*innen
400 Fachteilnehmer*innen
600 Besucher*innen am öffentlichen Tag

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Austausch und Ermutigung – und eine Debatte in Schieflage

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Die Situation ist paradox: Noch nie zuvor in der Geschichte unseres Landes wurde an so vielen Schulen das Gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung angeboten wie heute. Noch nie zuvor wurde öffentlich so viel über inklusive Bildung diskutiert. Noch nie zuvor war der individuelle Rechtsanspruch auf Inklusion in den Schulgesetzen der Bundesländer verankert, wie es heute zumindest in den meisten westdeutschen Bundesländern auf die eine oder andere Art der Fall ist.

Innerhalb der letzten zehn Jahre ist die Inklusion vom Nischenthema einiger eingeweihter Reformpädagogen und engagierter Eltern zum Topthema aller Bildungsdebatten geworden. Die von Deutschland eingegangene Verpflichtung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat das größte pädagogische Reformprojekt der bundesrepublikanischen Geschichte angestoßen.

Gleichzeitig drohte noch nie zuvor der sachliche Blick auf das, was ist, derart verloren zu gehen, wie in der aktuellen Diskussion um die Inklusion in der Schule. Problemlagen in unseren Schulen, die sich bereits seit Jahrzehnten aufgebaut haben, werden zu „Problemen der Inklusion“ erklärt. Schwierigkeiten bei der Umsetzung werden schnell zu einem „Scheitern der Inklusion“ umgedeutet. Anstatt Hindernisse für inklusive Bildung klar zu benennen und nach Wegen zu deren Überwindung zu suchen, wird zunehmend das menschenrechtliche Ziel infrage gestellt.

Diese Sicht verstellt vor allem auch den Blick auf das, was bereits heute gut gelingt und wovon andere lernen können.

Der vom Kölner Verein mittendrin e.V. ausgerichtete Kongress „Eine Schule für Alle. Inklusion schaffen wir!“ hat seinen Blick genau dorthin gerichtet: Auf das, was wir heute alles über guten Gemeinsamen Unterricht wissen und erfolgreich umsetzen. Dabei haben die Seminare, Workshops und Vorträge nicht beim Schultor haltgemacht, sondern den Blick auf die Übergänge in den Beruf und die Teilhabemöglichkeiten für Jugendliche mit Behinderungen in Freizeitangeboten geweitet. Wie wichtig aktuell dieser Austausch und die gegenseitige Ermutigung sind, haben zahlreiche Rückmeldungen von Teilnehmer*innen bestätigt.

In kurzen Interviews mit einigen der Referent*innen und Vorstellungen wegweisender Projekte wirft diese Reportage Schlaglichter auf wichtige Themen der inklusiven Bildung - und fragt nach den Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Politik auf Bundes- und Landesebene.  
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Themen-Schlaglichter

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Eine Schulform tut sich hierzulande besonders schwer mit dem Auftrag inklusive Bildung umzusetzen: das Gymnasium. Als eine der ersten Schulen dieses Bildungsgangs hat sich das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim auf den Weg zur Inklusion gemacht. Seit 2013 unterrichtet die Schule auch Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die zieldifferent gefördert werden. 2016 wurde sie dafür mit dem Jakob Muth-Preis für inklusive Schule ausgezeichnet. Wie das Gemeinsame Lernen am Gymnasium gelingt und welche schulrechtlichen Absurditäten dabei auftreten können, berichtet Schulleiter Andreas Niessen.

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Der Blick auf Menschen mit Behinderungen ist häufig defizitorientiert. Prof. Dr. André Zimpel kehrt diesen Blick um: Er erforscht die neurologischen Besonderheiten von Menschen mit Down-Syndrom und schließt daraus wie Lernmethoden überdacht werden müssen, damit sie ihre Potenziale bestmöglich erschließen  können.
Vor allem aber zeigt er uns, welcher Wert in dem Respekt vor der Neurodiversität von uns Menschen liegt – und was wir alle daraus lernen können.

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Ganz Deutschland meint offenbar, dass beim Aufbau der inklusiven Bildung unbedingt und trotzdem die Sonderschulen erhalten bleiben müssen. Ganz Deutschland? Nein! Im nordhessischen Lahn-Dill-Kreis wird die E-Schule schon lange nicht mehr gebraucht. Sämtliche Kinder und Jugendliche mit diesem Förderbedarf lernen an allgemeinen Schulen. Aus der Sonderschule ist ein Unterstützungszentrum geworden, dessen Lehrer die allgemeinen Schulen bei der Inklusion unterstützen. Das läuft so gut, dass die alte „Schule für Erziehungshilfe“ inzwischen auch die Inklusion von Schülern anderer Förderbedarfe unterstützt. Es fragt sich, warum das Vorbild Lahn-Dill-Kreis so wenig wahrgenommen wird. Vielleicht, weil es auch eher im Geheimen entstanden ist? Baldur Drolsbach über die Geschichte einer Sonderschule, die sich aufmachte, die Sonderschulen abzuschaffen.

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Die Grundschule Berg Fidel in Münster hat eine lange Tradition des Gemeinsamen Lernens. Etwa 70 Prozent der Schüler*innen haben eine Zuwanderungsgeschichte. Jedes Kind individuell dort abzuholen, wo es steht, wurde vom Kollegium schnell als Notwendigkeit erkannt. Von da aus war der Gedanke zu einer Schule für ALLE Kinder im Stadtteil nicht mehr weit. Mittlerweile ist die Grundschule Berg Fidel Teil der Primus Schule Münster, einer Modellschule des Landes Nordrhein-Westfalen mit Gemeinsamem Lernen von Klasse 1 bis Klasse 10. Schulleiter Reinhard Stähling und Klassenlehrerin und Sonderpädagogin Barbara Wenders berichten, wie aus einer Brennpunktschule eine Vorreiterschule inklusiven Lernens wurde.

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Die Sonderpädagogin und Diplom-Politologin Magda von Garrel ist in ihrem Berufsleben der Frage nachgegangen, warum arme und vernachlässigte Kinder in unseren Schulen so häufig scheitern.

Sie beschreibt anschaulich auf welche Weise – häufig unbewusst – armutsbedingte Kränkungen in unserem Schulsystem verstärkt werden, was dann nicht selten in eine komplette Lernverweigerung der Kinder mündet:

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Ist Inklusion eine Belastung für Schulen und Lehrer? Bringt sie eine Fülle von neuen und zusätzlichen Aufgaben, auf die Niemand vorbereitet ist? So scheint es manchmal, wenn man die öffentliche Diskussion verfolgt. Andererseits: Es gibt Schulen, die sich traditionell oder aktuell der Inklusion verschreiben – und dies als großen Gewinn sehen. Als Gewinn für die Schüler, für die Arbeitszufriedenheit der Lehrer und für die gesamte Schulentwicklung. Auf unserem Kongress haben sich einige dieser Schulen vorgestellt. So wie die Offene Schule Köln, die vor fünf Jahren ausdrücklich als inklusive Schule gegründet wurde. Inklusion ist kein Drama, sagt der Schulleiter Hans Flinkerbusch.

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Gemeinsames Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung gibt es in Deutschland schon seit 35 Jahren. Doch bisher brach die integrative bzw. inklusive Bildung für die Jugendlichen nach der 10. Jahrgangsstufe ab. Berufliche Bildung gibt es für die meisten bis heute nur in separierenden Einrichtungen. Die Berufskollegs waren – wie so oft in der Schulpolitik – auch beim Gemeinsamen Lernen nicht im Blick. Dabei ist inklusive berufliche Bildung die wesentliche Voraussetzung, damit Teilhabe auch im Arbeitsleben selbstverständlich wird.

In Nordrhein-Westfalen haben seit dem Schuljahr 2016/17 alle Jugendlichen mit Behinderung – auch die mit geistiger Behinderung – das Recht auf einem Berufskolleg zu lernen. Es ist ein Recht, das bisher kaum wahrgenommen wird. Weil wenige Betroffene davon wissen. Und weil die Angebote an Berufskollegs erst eingerichtet werden, wenn Betroffene dies verlangen.

Als eines der ersten Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen hat das Kölner Berufskolleg Ehrenfeld schon im Sommer 2015 begonnen, Jugendliche mit geistiger Behinderung in inklusive Klassen der Ausbildungsvorbereitung aufzunehmen. Ein bis drei Jahre lang testen die Jugendlichen in Langzeitpraktika an drei Tagen pro Woche, ob ihr Berufswunsch tatsächlich passt. Zwei Tage pro Woche arbeiten sie im Berufskolleg an allgemeiner Bildung und an beruflicher Grundbildung. Am Anfang war Skepsis, ob Inklusion auch am Berufskolleg gelingen kann. Inzwischen ist der Leiter des Berufskollegs, Johannes Segerath, von der Einbeziehung der neuen Zielgruppe überzeugt.

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In ganz Deutschland wird der Fachkräftemangel an Sonderpädagog*innen beklagt. Viele sehen darin einen Hauptgrund für die Probleme bei der Umsetzung der Inklusion in den Schulen. Die GEW kam in einer Lehrerumfrage aus dem Jahr 2015 allein in NRW auf 7000 fehlende Sonderpädagog*innen.
Wie kann der Ausbau inklusiver Bildung unter diesen Bedingungen gelingen? Prof. Dr. em. Hans Wocken plädiert dafür genau hinzuschauen, wann und in welchem Umfang sonderpädagogische Expertise im Unterricht nötig ist – und wo gute allgemeine Pädagogik ausreicht. Seine Positionen wurden auf dem Kongress sehr kontrovers diskutiert.

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Magda von Garrel beschreibt, wie der Ansatz des "Szenischen Verstehens" helfen kann, massiv störende und aggressive Schüler*innen zu verstehen. Und wie mit diesem Verständis der Grundstein für eine tragfähige Beziehung gelegt werden kann.

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Inklusive Bildung darf nicht vom Wohnort abhängen

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Mehr als zehn Jahre nach der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Vollversammlung der UNO ist der Aufbau der inklusiven Bildung in Deutschland noch nicht wesentlich voran gekommen. Zwar gibt es – mit großen regionalen Unterschieden - deutlich mehr Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeinen Schulen. Aber auf der anderen Seite ist die Zahl derjenigen Schüler*innen mit Behinderung, die in Sonderschulen lernen, kaum gesunken.

Gerade für Schüler*innen mit körperlicher oder geistiger Behinderung ist Inklusion fast überall im Land noch die große Ausnahme und Exklusion der Normalzustand.

Dramatisch sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und auch Nordrhein-Westfalen mit dem Aufbau inklusiver Bildung begonnen haben, bremsen Hessen und Bayern Inklusion aus, indem sie den Zugang zur allgemeinen Schule zwar geöffnet haben, aber den Schüler*innen notwendige Unterstützung verweigern. Andere Bundesländer von den meisten ostdeutschen Ländern bis in den Westen, haben den Aufbau inklusiver Bildung in der Fläche noch gar nicht begonnen.

Die Bundesregierung – als Vertragspartnerin der UNO – kann diesen Wildwuchs und auch die zögerliche Umsetzung der inklusiven Bildung eigentlich nicht hinnehmen. Sie ist der UNO gegenüber für die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention verantwortlich und hat bei der Staatenprüfung auch schon eine deutliche Rüge kassiert. Dennoch ist die Bundesregierung untätig. Begründung dafür ist stets der Förderalismus: Schulpolitik sei Ländersache, da habe sich der Bund nicht einzumischen.

Dabei trägt die schulpolitische Autonomie der Länder in Deutschland längst absurde Züge: Um jegliche Einflussmöglichkeit des Bundes auszuschließen, haben die Länder in Schulangelegenheiten ein „Kooperationsverbot“ erreicht: Der Bund darf nicht einmal Geld für Schulen geben – obwohl die Finanznot im Schulsystem überall sichtbar ist und die Länder nach eigenen Angaben kein Geld für die notwendigen Investitionen haben. Immerhin, das Kooperationsverbot ist politisch wieder in der Diskussion.

Aus unserer Sicht ist die schulpolitische Autonomie der Länder jedoch keine Begründung für das Nichtstun der Bundesregierung in Sachen inklusiver Bildung. Das Recht von Menschen mit Behinderung auf Inklusion in allen Lebensbereichen gehört zum grundgesetzlich festgelegten Diskriminierungsschutz. Dies haben alle Länder als Grundlage auch für ihre Schulpolitik zu akzeptieren. Auch die Klarstellung, was inklusive Bildung bedeutet (nämlich gemeinsames Lernen unter angemessenen Vorkehrungen, und eben nicht exkludierende Konstrukte wie die bayerischen „Außenklassen“), berührt den Schutz vor Diskriminierung. Da der Begriff in den Bundesländern unterschiedlich interpretiert wird, ist auch dies klarzustellen Sache des Bundes.

Seit drei Jahren fordern wie deshalb ein Bundesrahmengesetz für inklusive Bildung. In einem solchen Gesetz sollte zumindest geregelt sein: der Rechtsanspruch auf inklusive Bildung unter angemessenen Vorkehrungen sowie eine rechtlich bindende Definition von inklusiver Bildung als gemeinsamem Lernen, zusammen mit allen anderen Kindern, am Ort, an dem sie wohnen. Immer wieder sagen uns Politiker und Staatsrechtler, ein solches Bundesrahmengesetz sei wegen der schulpolitischen Autonomie der Länder nicht möglich.

Dies müssen Politologen und Juristen klären.

Wir meinen jedoch: Es gäbe viele Möglichkeiten für den Bund, auf den Aufbau der inklusiven Bildung in Deutschland zu dringen. Niemand kann zum Beispiel den Bundestag oder die Bundesregierung daran hindern, wenigstens in einer Entschließung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention die Mindestbedingungen für inklusive Bildung in Deutschland zu definieren und damit die Länder auf ihre Pflicht zur ernsthaften Umsetzung der Konvention hinzuweisen.

Aus diesem Grund haben wir auf unserem Kongress „Eine Schule für Alle. Inklusion schaffen wir!“ zu einer Podiumsdiskussion über den Stand der inklusiven Bildung in Deutschland und die Rolle der Bundesregierung eingeladen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sah sich leider nicht in der Lage, einen Vertreter zu schicken.

Die Moderation der Diskussion unter dem Titel „Inklusive Bildung: Wo steht Deutschland?“ hatte Barbara Brokamp von der Montagstiftung Jugend und Gesellschaft. Die Teilnehmer waren hin- und hergerissen zwischen Vertragstreue des Bundes auf der einen Seite und Bildungsföderalismus auf der anderen. Aus Sicht der Kultusministerkonferenz war die Sache naturgemäß klar: Die Länder würden auf einen Vorstoß der Bundesregierung in Sachen inklusiver Schule ablehnend reagieren und die Bundesbildungsministerin auffordern, „bei ihren Leisten zu bleiben“, sagte Dr. Tobias Funk, der Leiter der Schulabteilung im Sekretariat der Kultusministerkonferenz. Prof. Michael Wrase vom Wissenschaftszentrum Berlin hielt ein Bundesrahmengesetz für rechtlich nicht machbar. Er wies darauf hin, dass die Bundesregierung bei einer Lockerung des Kooperationsverbots aber durchaus Möglichkeiten habe, über die Gestaltung von Finanzpaketen für Schulen Einfluss auf die Umsetzung der inklusiven Bildung in den Ländern zu nehmen. Lisa Reimann, Autorin der „Inklusionsfakten“ und André Ponzi von der Bundesschülervertretung äußerten ihr Unverständnis, dass die Bundesregierung jegliches Engagement zur Durchsetzung der UN-BRK im Schulbereich verweigert.

Dr. Valentin Aichele stellte noch einmal fest, dass für Deutschland am Aufbau der inklusiven Bildung kein Weg vorbei führe. Es seien dringend Schritte erforderlich, da schon im kommenden Jahr im nächsten Staatenbericht an die UNO der Fortschritt dokumentiert werden müsse. Die Absicht der Politik, parallel ein Sonderschulsystem aufrecht zu erhalten, sei dabei ein Irrweg: „Das deutsche Sonderschulsystem muss abgebaut werden und auslaufen. Die UN-BRK sieht kein Elternwahlrecht vor. Das Recht auf inklusive Bildung ist das Recht des Kindes.“

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Nordrhein-Westfalen ist beim Aufbau der inklusiven Bildung in einer unsicheren Lage. Nach dem Regierungswechsel regieren nun Parteien, die den Wahlkampf mit Forderungen bestritten hatten, bei der Inklusion „Tempo herauszunehmen“. Inzwischen ist klar, und das bestätigte Schulministerin Yvonne Gebauer in ihrem Beitrag auf unserem Kongress, dass am Rechtsanspruch der Kinder mit Behinderung auf Inklusion nicht gerüttelt werde. Sie kündigte trotzdem einen Richtungswechsel an, dessen Eckpunkte aber noch sehr unklar blieben. Es soll Schwerpunktschulen geben, es soll an der Qualität des Gemeinsamen Lernens gearbeitet werden und die Gymnasien sollen bei der Inklusion „entlastet“ werden. Im Hörsaal B der Uni Köln kam die Ministerin mit Vielem, was sie sagte, gar nicht gut an. Welche Maßnahmen die Ministerin genau ergreifen will, dürfte erst zum Jahresende bekannt gegeben werden. Sicher ist jetzt schon: Mit der Absicht alle Sonderschulen zu erhalten hat die Koalition im Wahlkampf Punkte gemacht. Für´s eigene Regieren hat sie sich damit eher Probleme eingehandelt. Widerspruch von offizieller Seite ist gewiss. Die Monitoringstelle zur Umsetzung der UN-BRK, auf Wunsch der Landesregierung jetzt auch für NRW zuständig, hält allenfalls eine Pause beim Abbau der Sonderschulen für zulässig.

Sicher ist: Jenseits plakativer Beschlüsse wie dem „Förderschul-Moratorium“ fangen für die neue Schulministerin die Herausforderungen erst an. Drei Jahre ist der Rechtsanspruch auf Gemeinsames Lernen in Kraft. Und vielerorts hakt der Aufbau der inklusiven Bildung noch mächtig. Neben dem all gegenwärtigen Personalmangel sind es vor allem zwei Faktoren, die in den Schulen immer wieder zu Problemen führen: Die Inklusion deckt auf, dass in den meisten Schulen des Landes eine sehr altertümliche Pädagogik vorherrscht. Frontalunterricht und Arbeitsblatt-Pädagogik produzieren auch unter den Schüler*innen ohne Behinderung viele Bildungsverlierer. Das Dazu-kommen von Schüler*innen mit Förderbedarf macht den Mangel an individueller Förderung dann deutlich sichtbar. Der zweite Faktor für schlechte Qualität in der Inklusion ist das Nicht-Begreifen einer Schule, die allen Kindern und Jugendlichen gute Lernbedingungen schafft. So lange inklusive Bildung nicht als Menschenrecht aller Schüler*innen auf gute Bildung begriffen wird, bleibt „Inklusion“ eine bloße Zusatzaufgabe, um die sich bitte der Sonderpädagoge zu kümmern hat.

Doch welche Möglichkeiten hat Politik, die Qualität der Schulen nachhaltig zu fördern? Professorin Anne-Dore Stein zeigte in ihrem Impulsvortrag auf, wie die kanadische Provinz New Brunswick die Inklusion in ihren Schulen verankert hat. Die Regierung initiierte einen intensiven Steuerungsprozess, zu dessen Bestandteilen neben einem Berichtswesen („Hindernisreport“) vor allem strukturelle Vorgaben gehören. So kann in New Brunswick niemand mehr Schulleiter werden, der keine Fortbildung zur Inklusion absolviert hat. Auch die notwendige Teamarbeit an den Schulen überließ die Schulbehörde nicht dem Zufall. Vorgeschrieben sind u.a. regelmäßige Besprechungen der Schulleiter mit Teilen des Kollegiums, in denen es nicht überwiegend um Organisatorisches gehen darf, sondern um die Lernbedürfnisse der Schüler*innen.

In der anschließenden Podiumsdiskussion „Inklusion: Wie geht’s weiter in NRW?“ beschäftigten sich die schulpolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen zusammen mit Daniel Rosenkaymer von der Landesschüler*innenvertretung und Michael Baumeister vom Eltern-Inklusionsverband Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen NRW mit der Frage, was die Politik in Nordrhein-Westfalen neben einer besseren Personalausstattung für eine bessere Qualität inklusiver Schulen tun kann. Die Teilnehmer aus der Politik waren Frank Rock (CDU), Jochen Ott (SPD), Franziska Müller-Rech (FDP) und Sigrid Beer (Die Grünen). Diskutiert wurde zum Beispiel, ob eine von der Regierung geplante Bestandsaufnahme zur Inklusion neben statistischen Daten auch die Zufriedenheit von Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern erheben sollte – oder ob sie das Schulkonzept und die Unterrichtsgestaltung unter die Lupe nehmen sollte. Michael Baumeister forderte, das Land müsse endlich eine unabhängige Elternberatung finanzieren, damit Kinder im Einzelfall Unterstützung bekommen, wenn die Schule bei der Berücksichtigung ihrer Lernbedürfnisse hinterher hinkt. Einvernehmen bestand bei den Sprechern aller Fraktionen, dass verpflichtende Schulleiter-Fortbildungen für Inklusion sinnvoll seien. Auf die Frage, was Politik tun könne, um die in großen Teilen skeptische Lehrer*innenschaft des Landes für die Inklusion zu gewinnen, hatten die Schulpolitiker noch keine Antwort. Für Schüler*innenvertreter Daniel Rosenkaymer war die Sache klar: Wer Inklusion nicht wolle, habe als Lehrer den Beruf verfehlt.
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"Kongress war ein voller Erfolg für uns"

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„Können Sie nicht auch mal an die Schule meines Kindes kommen?“, „Wir fühlen uns alleingelassen!“, „Keiner nimmt unsere Sorgen ernst“, „Das Projekt ist total toll, aber warum gibt es das nur in Köln?“

Das bundesweite Pilotprojekt „Coaches für inklusive Bildung“ war mit eigenen Veranstaltungen und einem Infostand auf dem Kongress vertreten – und machte dabei vor allem eine Beobachtung: Bei Eltern von Kindern mit Förderbedarf besteht in Sachen inklusive Schulentwicklung in Deutschland vor allem eines: jede Menge Frust.

Von Saskia von der Burg

Gut besuchte Workshops, zahlreiche Elterngespräche am Infostand und in den Veranstaltungspausen und immer wieder die Frage: „Kann einer Ihrer Coaches nicht auch mal an der Schule meines Kindes aktiv werden?“: Aus Sicht des vom Kölner Elternverein mittendrin e.V. 2015 initiierten bundesweiten auf drei Jahre angelegten Pilotprojektes „Coaches für inklusive Bildung“ war der 3. Kongress „Eine Schule für Alle. Inklusion schaffen wir!“ in Köln ein voller Erfolg. Denn die neun Coaches – allesamt selbst schwerbehinderte Akademiker*innen - hatten während der dreitägigen Großveranstaltung alle Hände voll zu tun - und stießen bei der Präsentation ihrer Arbeit durchweg auf positives Feedback. Ob im Workshop zum Thema „Offen über Behinderungen sprechen“, ob zu den Themen Schulübergänge und Berufsorientierung oder auch zu der Frage, wie man Lehrer*innen durch Unterstützung beim Gestalten des inklusiven Unterrichts vor der Überforderung schützen kann: Die Nachfrage nach Informationen und der Wunsch nach mehr Unterstützung war sowohl aufseiten der Eltern als auch auf der Seite der Lehrer*innen deutlich spürbar. Dementsprechend intensiv nutzten die Kongressteilnehmer*innen die Möglichkeit während der drei Tage zum Gedankenaustausch – und fanden bei den Coaches dabei immer ein offenes Ohr.

Die CiB als kompetenter Ansprechpartner

„Wir sind durch unseren inklusiven Blick von außen für die Eltern kompetente Ansprechpartner*innen“, erklärt Projektleiter Andreas Huckschlag, selbst sehbehindert.

„Viele Eltern von Kindern mit Förderbedarf fühlen sich mit ihren Ängsten und Sorgen an den Schulen leider noch immer alleingelassen oder zu wenig ernst genommen. In uns sehen sie jemanden, mit dem sie auf Augenhöhe offen über ihre Nöte sprechen können.“

Wunsch nach mehr Unterstützung

Eines war am Infostand und auch in den Workshops immer wieder zu hören. „Schade, dass das Projekt auf Köln begrenzt ist. Ich hätte Sie so gerne auch mal an der Schule meines Kindes.“

„Das zeigt uns, dass trotz aller Bemühungen rund um das Thema Inklusion bundesweit noch viel zu tun ist“, sagt Andreas Huckschlag. „Zwar gibt es in Sachen Gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Förderbedarf schon einiges, was sich zum Positiven verändert hat – aber Inklusion ist ein Prozess und der ist noch längst nicht abgeschlossen.“

Das größte Problem: Es fehlt vor allem an Informationen. Lehrer*innen, Eltern und anderen am Bildungsprozess Beteiligten ist oft nicht bekannt, dass und welche Unterstützungsangebote es für Kinder mit Förderbedarf gibt.

„Unser Anliegen ist es, diese Wissenslücken zu schließen“, sagt Andreas Huckschlag. „Darum haben wir in unseren Workshop das Augenmerk auf einige Themen gelegt, wo aus unserer Sicht Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden müssen: nämlich bei den Themen Schulübergänge und Berufsorientierung.“

Das rege Interesse an den Workshops sowie die vielen Rückmeldungen während des Kongresses zeigten, dass die Coaches mit ihrer Arbeit auf dem richtigen Weg seien, so Huckschlag weiter. Und das sei der größte Erfolg: zu zeigen, dass man sein Handicap als Stärke nutzen kann, um anderen zu helfen, (vermeintliche) Probleme auch mal aus einer anderen Pe(e)rspektive zu betrachten.

Sie haben noch Fragen zum Projekt „Coaches für inklusive Bildung“? Dann besuchen Sie unsere Webseite unter www.cib-mittendrin.de oder rufen Sie uns an unter Phone: 0221/29438498.                




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"Ängste müssen auf beiden Seiten abgebaut werden"

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Das Projekt "Chillen inklusive" startete der mittendrin e.V. im September 2016. Die Stiftung Wohlfahrtspflege fördert das Projekt über einen Zeitraum von drei Jahren. Das Angebot richtet sich an Kinder und Jugendliche mit Behinderung in Köln, die ganz selbstverständlich an den Freizeitangeboten in ihrem Viertel teilnehmen wollen.

Aussonderung ist häufig erlernt
Projektmitarbeiterin Laura Duarte schilderte zu Beginn des Workshops, aus welchen Erfahrungen heraus die Projektidee entstanden ist: "Wenn Eltern behinderter Kinder bei einem Jugendhaus anrufen und ihren Sohn oder ihre Tochter anmelden wollen, ist die Antwort am anderen Ende des Telefons häufig ein langes Schweigen." Dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung ganz selbstverständlich die Angebote an ihrem Wohnort nutzen, ist bislang die große Ausnahme.

Laura Duarte weiß, dass Ängste nicht nur auf Seiten der Einrichtungen abgebaut werden müssen, sondern auch bei den Eltern: "Die Eltern müssen in feinfühligen Gesprächen häufig erst dazu ermutigt werden, ihre Kinder in die ungewohnte Freiheit zu entlassen." Die Überzeugung, dass behinderte Menschen nur in gesonderten Einrichtungen willkommen und sicher sind, sitze tief, so Duarte weiter.

Inklusion von unten
Die beiden Sozialarbeiter*innen Christian Tollning und Valeska Wilbertz, die im Projekt beschäftigt sind, stellten den Ansatz und die konkrete Herangehensweise vor: "Wir haben einen nutzerzentrierten Ansatz. Das bedeutet, dass die Wünsche und Interessen der Kinder und Jugendlichen entscheidend für das weitere Vorgehen sind. In Gesprächen finden wir gemeinsam heraus, wo die Bedürfnisse liegen.", so Christian Tollning. Parallel dazu nehmen die beiden Sozialarbeiter*innen Kontakt zu Einrichtungen der offenen Jugendarbeit auf und bieten ihre Unterstützung an. "Wenn Einrichtungen sich für Kinder und Jugendliche mit Behinderung öffnen, können zu Beginn Unsicherheiten und Fragen auftreten. Hier unterstützen wir als Prozessbegleiter*innen den Weg längerfristig.", berichtete Valeska Wilbertz.

Anhand konkreter Fallbeispiele machte Wilbertz deutlich, wie wichtig es ist, auf beiden Seiten ein inklusives Bewusstsein zu schaffen: "Ein Mädchen verbrachte seine ganze Freizeit bislang immer in der sehr engen Betreuung durch eine Familienhelferin. Hier mussten wir zu Beginn nach einem Kompromiss suchen, um die Ablösung für alle Beteiligten verträglich zu gestalten."

Das Projekt ist noch im Aufbau. Bisher werden 12 Kinder und Jugendliche begleitet. Interessierte Familien aus Köln können gerne Kontakt aufnehmen:

Christian Tollning
Mobil: 0176 - 644 03 734

Valeska Wilbertz
Mobil: 0176 - 644 03 515

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Schirmherr Pablo Pineda

Ein Programmpunkt des Kongresses wurde von den Teilnehmer*innen mit besonderer Spannung erwartet: die Rede des Schirmherrn Pablo Pineda.

Pineda wurde als jüngster von drei Brüdern mit dem Down-Syndrom geboren und besuchte von Beginn an wie sie die ganz normale Schule. Er fand einen Lehrer, der sein Potenzial erkannte. So kam es, dass Pineda letztlich die Schule mit Hochschulreife abschloss und danach ein Lehramtsstudium absolvierte. Anschließend studierte er Psychologie und arbeitete als Lehrer an einer Schule in Córdoba. Seit 2010 hält Pineda weltweit Vorträge für die Fundacion Adecco, die sich für die Inklusion einsetzt. Weltweit bekannt wurde Pineda durch den Film "Me too - Wer will schon normal sein?" (Yo, también), in dem er in der Rolle des Daniel seine frei interpretierte Lebensgeschichte im Kampf um Normalität erzählt. Für seine schauspielerische Leistung wurde er beim Filmfestival von San Sebastian 2009 als bester Schauspieler ausgezeichnet.

Wegen Krankheit musste Pablo Pineda seine Reise nach Köln in letzter Minute absagen – die Rede hielt er dennoch: Live via Facetime wurde er an die Leinwand im Hörsaal projiziert und begeisterte die Zuhörer*innen. Sehr persönlich und emotional war vor allem die Fragerunde am Schluss, in der die Teilnehmer*innen Pineda ihre Fragen stellen konnten. Am Ende stand der halbe Saal und feierte seine Aussagen mit Standing Ovations: „Wir sind Menschen 1. Klasse und wollen in der 1. Liga spielen – nicht mehr aber auch nicht weniger!“ 

Link zur Rede im Original mit deutscher Übersetzung als PDF:
 http://www.mittendrin-koeln.de/fileadmin/dokumente/mittendrin-Dokumente/rede_pineda.pdf

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Kooperationen und Förderer

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