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Bluttest auf Trisomien

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Einleitung

  • Kirsten Achtelik
  • Dr. Gerda Enderer-Steinfort
  • Rebecca Maskos
  • Corinna Rüffer
  • Prof. Dr. Stefan Sauerland
  • Input von Natalie Dedreux
  • Moderation: Tina Sander, mittendrin e.V.
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Im Jahr 2019 war der Bluttest auf Trisomien wieder einmal in aller Munde: Im Frühsommer rangen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in einer Ethikdebatte um Orientierung, ob der Test denn Kassenleistung werden solle – die Mehrheit der Abgeordneten sprach sich dafür aus. Im September fiel dann die erwartete Entscheidung des Gesetzlichen Bundesausschusses (G-BA), den Bluttest künftig in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen.

Daraufhin wurde das Thema einmal quer durch die Medienlandschaft gereicht: Mütter von Kindern mit Down-Syndrom durften in Interviews ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen, Kommentator*innen fanden schöne Worte dafür, dass natürlich niemand Selektion wolle, die Gesellschaft einfach viel behindertenfreundlicher werden müsse – um dann ziemlich einhellig die Entscheidung für die Kassenfinanzierung zu begrüßen.

Hierbei wurden Gräben übersprungen, die sonst unüberwindlich scheinen. Christlich-konservative sowie sozialdemokratische Politiker*innen, Feminist*innen und FDP-Abgeordnete versammelten sich in schöner Eintracht hinter dem Argument: Die Kassenzulassung sei ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, die Solidargemeinschaft dürfe die arme, schwangere Frau hier nicht alleine lassen! Dagegen mochte dann kaum noch jemand etwas sagen.

Uns erschien die Debatte zu oberflächlich – uns fehlte ein ehrlicher Blick hinter die meistgenannten Argumente der Diskussion. Das war unser Antrieb, ein eigenes Podium zu dieser Frage zusammenzusetzen. Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe Inclusion Infusion gelang es uns, Vertreter*innen aus Politik, Medizin, Feminismus, Behindertenrechtsbewegung sowie der Prüfinstitutionen des Gesundheitswesens an einen Tisch zu bekommen.

Das COMEDIA Theater Köln war Kooperationspartner der Veranstaltung und begrüßte uns am 3. Dezember 2019 im Grünen Saal in der Kölner Südstadt. Die Diskussion wurde von Dolmetscher*innen für Leichte Sprache und für Gebärdensprache übersetzt, um sie für Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen.
Das Projekt Inclusion Infusion wird von der Aktion Mensch und der Kämpgen-Stiftung gefördert.

Mit dieser Reportage möchten wir einen Überblick über den Abend geben. Wer die komplette Diskussion im Wortlaut nachlesen möchte, findet ganz am Ende das Transkript sowie weitere Leseempfehlungen zum Thema.

Tina Sander, mittendrin e.V.
Februar 2020
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Die Diskussionsteilnehmer*innen

#1: Prof. Dr. Stefan Sauerland

Prof. Dr. med. Stefan Sauerland, Leiter Ressort nichtmedikamentöse Verfahren am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Prof. Dr. med. Stefan Sauerland, Leiter Ressort nichtmedikamentöse Verfahren am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
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"Wir sind natürlich kein technokratisches Institut, das da sitzt und einfach irgendwas macht, wie man eine Atombombe zusammenbaut und sich am Ende keiner Gedanken darüber macht, wer sie denn einsetzt. (...) Wir hatten aber vom Bundesausschuss den Auftrag, uns die Testgüte anzuschauen, das heißt die rein medizinisch-technischen Parameter des Tests zu prüfen. Und wir haben dann eben in den Bericht nur rein geschrieben, dass wir diese gesamten ethischen Aspekte nicht bewerten müssen: Erstens weil es nicht unser Auftrag ist und zweitens weil es auch nicht unsere moralische Pflicht gewesen wäre, weil der Bundesausschuss in Berlin kennt das Thema und hat auch mit dem Nationalen Ethikrat darüber gesprochen. (...) Unsere Aufgabe war wirklich nur Testgüte des Tests aus der Literatur, aus den Studien zusammenzufassen – und das haben wir gemacht."

Anmerkung: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Der G-BA legt innerhalb des vom Gesetzgeber bereits vorgegebenen Rahmens fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Einzelnen übernommen werden. Der G-BA hat das IQWiG beauftragt, das Bewertungsverfahren für den Bluttest auf Trisomien durchzuführen. Der Bericht des IQWiG war Grundlage für die Entscheidung des G-BA im September 2019, dass der Test künftig Kassenleistung werden soll.

Für die Positionen der weiteren Podiumsgäste einfach weiterscrollen:

Prof. Dr. med. Stefan Sauerland, Leiter Ressort nichtmedikamentöse Verfahren am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Prof. Dr. med. Stefan Sauerland, Leiter Ressort nichtmedikamentöse Verfahren am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
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#2: Corinna Rüffer

Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
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"Das Parlament ist ja der Gesetzgeber und hat damit grundsätzlich natürlich Einwirkungsmöglichkeiten: Wir könnten das Gendiagnostikgesetz verändern, wir könnten aber auch erst einmal prüfen, ob es ordnungsgemäß angewendet wird seit den 70er Jahren. Man könnte ja auch über die Amniozentese reden, darüber, dass wir 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert haben und sich damit auch längst schon das Bild von Behinderung in der Medizin hätte ändern müssen. Und es ist richtig, dass der G-BA von seinem Auftrag her nicht die Aufgabe hat, die ethische Dimension dieses Themas zu diskutieren, sondern der hat lediglich darüber zu entscheiden, ob dieser Test gut funktioniert oder nicht. Und das hat das IQWiG ja beantwortet

(...) aber wie gesagt, die Dimension des Themas ist viel größer und ich glaube, dass wir als Gesellschaft uns mit der Frage auseinandersetzen wollen, ob Tests, die von der Wirkung her selektiv wirken, also auf die Vermeidung behinderter Menschen wirken, ob die gesellschaftlich erwünscht sind oder nicht. Und wir müssen glaube ich zu diesem Zeitpunkt auch konstatieren – wir sind ja vom G-BA aufgefordert worden, uns als Gesetzgeber mit diesem Thema auseinanderzusetzen, Anlass war der Test auf Trisomie 13, 18, 23, aber es gibt ja weitere Tests, vor kurzem ist der Test auf Mukoviszidose zugelassen worden, es ist völlig klar, dass auch weitere Tests auf den Markt kommen werden – also, wir sind nicht am Ende dieser Debatte, sondern wir sind am Anfang. Wir haben ja als Gesetzgeber, als Deutscher Bundestag im April eine Orientierungsdebatte geführt. Orientierungsdebatte heißt, dass im Deutschen Bundestag kein Fraktionszwang herrscht, sondern Leute aus ihrer Perspektive zu einem ethisch bedeutsamen Thema geredet haben. Daraus ist ein interfraktioneller Prozess entstanden, der gerade in seiner Arbeitsphase steckt und der weitergehen wird. Da diskutieren wir darüber, welche Schlüsse wir aus der Situation ableiten. Das ist gerade die Aufgabe des Deutschen Bundestages."
Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
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#3: Dr. Gerda Enderer-Steinfort

Dr. Gerda Enderer-Steinfort, Fachärztin für Gynäkologie, Geburtshilfe und Pränataldiagnostik, Bezirksvorstand Köln im Berufsverband der Frauenärzte
Dr. Gerda Enderer-Steinfort, Fachärztin für Gynäkologie, Geburtshilfe und Pränataldiagnostik, Bezirksvorstand Köln im Berufsverband der Frauenärzte
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"Also, dass der NIPT, der nicht-invasive pränatale Test oder die nicht-invasive pränatale Diagnostik, irgendwann die pränatale Landschaft würde aufmischen, das war uns allen im Jahr 2012 klar. An diesem Test würde keiner vorbeikommen.

(...) Wir haben uns immer wieder die Frage gestellt, jetzt als Berufsverband, ob es tatsächlich in Deutschland hochoffiziell einen Konsensus darüber gibt, dass die Vermeidung eines Trisomie-21-Kindes zu den vornehmsten Aufgaben einer gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Denn es leben ja immerhin viele Trisomie-21-Kinder unter uns und man kann ja nun wirklich nicht sagen, dass deswegen jede Familie kreuzunglücklich ist. Das geht einfach nicht, das so zu sehen. Obwohl wir wissen als Gynäkologen, dass über lange Jahre, über mehrere Jahrzehnte, jeder Trisomie-Fall als juristischer Schaden gehandelt wurde und deswegen jeder Gynäkologe gut beraten war, die Patienten vollständig über alle diagnostischen Möglichkeiten aufzuklären. Da kam keiner dran vorbei..."
Dr. Gerda Enderer-Steinfort, Fachärztin für Gynäkologie, Geburtshilfe und Pränataldiagnostik, Bezirksvorstand Köln im Berufsverband der Frauenärzte
Dr. Gerda Enderer-Steinfort, Fachärztin für Gynäkologie, Geburtshilfe und Pränataldiagnostik, Bezirksvorstand Köln im Berufsverband der Frauenärzte
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#4: Rebecca Maskos

Rebecca Maskos, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Bremen im Studiengang Soziale Arbeit und Journalistin
Rebecca Maskos, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Bremen im Studiengang Soziale Arbeit und Journalistin
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"Tatsächlich ist zum einen meine eigene Behinderung genetisch bedingt, ich habe die sogenannte Glasknochenkrankheit. Noch kann man die nicht durch einen einfachen Bluttest erkennen, aber ich sag mal, die Möglichkeiten sind ja unbegrenzt wahrscheinlich. Und ich frage mich schon, was macht das eigentlich mit Menschen wie mir, was macht das mit Familien, wo Glasknochen gehäuft vorkommt. Und da kommt jetzt sozusagen mein akademischer Blick rein – oder vielleicht auch der Aktivistinnen-Blick – was macht das mit unserer Gesellschaft, wenn wir auf eine sehr einfache, niedrigschwellige Art und Weise entscheiden können sollen, ob Föten mit Behinderung auf die Welt kommen, geboren werden sollen oder nicht. Ich gucke mir fachlich an, in was für einem Diskurs das abläuft.

(...) Und die Disability Studies, vielleicht ganz kurz ein Satz dazu, das ist ein Zweig, der sich interdisziplinär mit Behinderung beschäftigt, aus vielen verschiedenen Perspektiven – guckt aber eher aus einer sozialen und kulturellen Perspektive auf Behinderung und eben nicht aus einer medizinischen Perspektive, die Behinderung rein als individuelles Problem wahrnimmt. Also in den Disability Studies guckt man sich das eher an als kulturelles und soziales Konstrukt – und das ist auch der Hintergrund, vor dem ich diese Debatte interessant finde und kritikabel finde."
Rebecca Maskos, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Bremen im Studiengang Soziale Arbeit und Journalistin
Rebecca Maskos, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Bremen im Studiengang Soziale Arbeit und Journalistin
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#5: Kirsten Achtelik

Kirsten Achtelik, Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin
Kirsten Achtelik, Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin
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Von Kirsten Achtelik veröffentlichen wir auf ihren Wunsch hin kein Foto.

"Das Buch ist von 2015 und ich habe u.a. auch eine aktivistische Perspektive auf das Thema. Woran man sich heute gar nicht mehr so gut erinnert: 2008/09/10 war weder Schwangerschaftsabbruch noch Pränataldiagnostik gesellschaftlich oder in feministischen Zirkeln groß diskutiert, da ist es entstanden.
(...) Um da wieder neu zu verstehen, was die Gebote, die Verbote, die Normen sind, was die feministische Geschichte ist und wir sind da dann relativ schnell und auch relativ offensichtlich auf diesen Selbstbestimmungsbegriff gestoßen. Als feministische Tradition, die wichtig ist, das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und als Gegenpart sozusagen diese Abtreibungsgegner, die Frauen das verwehren wollen.

Was wie eine einfache Gegensätzlichkeit aussieht, wurde relativ schnell kompliziert, weil wir festgestellt haben, dass diese Abtreibungsgegner sehr viel argumentieren mit einer Problematisierung von Pränataldiagnostik. Heute trägt dieser „Marsch für das Leben“ in Berlin sehr gerne Bilder von Babys mit Trisomie 21 mit sich rum, um zu zeigen, dass sie das ganz wichtig finden, dass sie bei aller Abtreibungskritik, die Abtreibung von Föten mit Trisomie 21 noch viel schlimmer finden, als die von allen anderen Föten. Bezeichnend ist auch das Bild der Föten mit Behinderung als „Schwächste der Schwachen“.

Da haben wir uns dann gesagt, da ist etwas kompliziert, was wir uns nochmal genauer angucken müssen. Also Selbstbestimmung über den eigenen Körper und Fremdbestimmung über den eigenen Körper sind offensichtlich nicht das einzige Problem. Und dann haben wir in die feministische Geschichte nochmal reingeguckt und sind auf diese große Diskussion in den 80er Jahren gestoßen über den feministischen Begriff von Selbstbestimmung, über Reproduktionstechnologien, eine große Diskussion, wo auch Feministinnen mit Behinderung zu den Feministinnen ohne Behinderung gesagt haben, so könnt ihr das alles nicht machen, das ist nicht so einfach! Und das haben wir dann versucht in diese Mobilisierung aufzunehmen. Und daraus und aus der Recherche und was wir dann herausgefunden haben, ist dann dieses Buch entstanden."
Kirsten Achtelik, Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin
Kirsten Achtelik, Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin
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"Also, ich bin Natalie Dedreux und ich habe das Down-Syndrom und bin 20 Jahre alt und wohne ab jetzt in einer WG und nicht mehr zuhause und das finde ich da sehr gut. Ich will Journalistin werden. Weil das halt Spaß macht, viel damit unterwegs zu sein und neue Menschen kennen zu lernen.

Und meine Hobbys sind mit dem Freund verabreden und auch mal schwimmen und auch mal zum West Bowling.

Und ich finde es selber auch nicht gut, dass der Bluttest auf Down-Syndrom von den Krankenkassen bezahlt wird, weil es sonst weniger Menschen mit Down-Syndrom auf der Welt gibt und dann habe ich weniger Freunde mit Down-Syndrom.

Und ich will auch nicht in einer Welt leben, wo man meint, dass Menschen mit Down-Syndrom am Rand liegen gelassen werden sollen – weil das ist auch kein Kinderspiel! Wir werden ja auch gebraucht. Wir sind auch was Wichtiges. Das steht auch in Artikel 3 vom Grundgesetz. Menschen mit Behinderung haben die gleichen Rechte.  

Und deswegen bin ich auch raus auf die Straße gegangen und habe auch gegen den Bluttest demonstriert. Und ich habe auch im Internet auf der Seite Change.org eine Petition gestartet, um hier zu zeigen wie cool ein Leben mit Down-Syndrom ist. 

Ich will ja halt nicht, dass der Bluttest auf Down-Syndrom von den Krankenkassen bezahlt wird. So! Da können mehrere noch unterschreiben. Dann will ich die Petition den Politikern, zum Beispiel von den Grünen hier, an die Hand geben.  

Ich will zeigen wie das ist und wie sich das anfühlt und dass man auch an dem Thema betroffen ist. Es macht mich traurig, wenn keine Menschen mit Down-Syndrom mehr hier sind. Deswegen werde ich weiter kämpfen für Menschen mit Down-Syndrom.  

Und ich zeige hier auf der Welt wie mein Leben mit Down-Syndrom so drauf ist und da muss man keine Angst davor haben, weil wir ja nichts tun. Und ich zeige ja auch, dass Menschen mit Down-Syndrom ein gutes Leben führen. Mein Leben ist auch gut.  

Wir sind doch cool."
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Angst

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Die Frage nach der Angst stand im Mittelpunkt der nächsten Diskussionsrunde: Wie ist das Verhältnis unserer Gesellschaft zu ihren Mitgliedern mit Behinderung? Haben wir Angst vor behinderten Menschen? Und versuchen wir diese Angst mit dem Bluttest auf Trisomien zu bekämpfen? Tragen die Gynäkolog*innen vielleicht auch Angst in das Gespräch mit der schwangeren Frau hinein?

Rebecca Maskos führte aus, dass aus ihrer Sicht weniger die Angst vor behinderten Menschen das Problem sei, als vielmehr die Vorstellung von Behinderung, die  vielen Menschen Angst mache:

"Behinderung ist ein großes Angstszenario, da es auch der Vorstellung entgegensteht, ein unabhängiges Individuum zu sein, also alles alleine zu können". Auch würden an Kinder heute hohe Erwartungen gestellt: "Kinder sollen unglaublich viel erfüllen können heute. Sie sollen Dinge weiterführen, die Eltern in ihrem Leben nicht schaffen, sie sollen auch ein bisschen ein Spiegel sein des eigenen Selbst. Und das bedroht alles die Vorstellung, dass das Kind eine Behinderung hat. Auch dass dieser Alltag, der ja heute eh schwierig ist, wenn man Kinder hat, beide haben einen Job – und dann funktioniert das Kind nicht so, wie es sein muss, um in diesem total durchgetakteten Leben klarzukommen – all das macht Angst!"

Dr. Gerda Enderer-Steinfort brachte in ihrem Redebeitrag einen ganz anderen Aspekt der Angst auf – die Angst der Ärzt*innen vor Haftungsklagen der Eltern nach der Geburt eines behinderten Kindes:
 
"Wir hatten bis Mitte der 90er Jahre noch mehrere Verfahren, die entsprechend ausgegangen sind. Dabei ging es immer um mangelnde Aufklärung. Das haben wir als Ärzte natürlich hoch interessiert verfolgt. Sobald die Patienten nachweisen konnten, dass der Arzt sie nicht ausreichend oder vollständig über alle zur Verfügung stehenden diagnostischen Maßnahmen aufgeklärt hat und die hatten einen guten Anwalt, sind die Ärzte schuldig gesprochen worden. Und meine Kollegen sind jetzt nicht die juristischen Experten, sondern sie sind Mediziner und sie haben sich durch die Kammer und die Kassenärztliche Vereinigung entsprechend beraten lassen. Sie hatten immer Angst davor, eine Trisomie zu übersehen, weil das war damals der Fall, der für Aufregung gesorgt hat."

Kirsten Achtelik wandte hier ein, dass sich die Rechtslage mit Änderung des
§ 218 Mitte der 90er Jahre auch in Bezug auf die Haftpflichtklagen geändert habe. Die Behinderung des Fötus alleine könne seit Streichung der sogenannten embryopathischen oder eugenischen Indikation nicht mehr der alleinige Grund für eine Abtreibung sein – und auch nicht mehr alleiniger Grund für einen Schadenersatz. Hier müssten die Eltern nach aktueller Rechtslage nachweisen können, dass es ihnen infolge der Geburt des behinderten Kindes schlechter gehe als zuvor.

Rebecca Maskos bestätigte die Sicht, dass Ärzt*innen Angst in das Gespräch mit der Patientin tragen: "Die Aufklärung, die Mediziner leisten müssen, stellt in der Praxis ganz oft den "worst case" dar. Es fehlt eine Offenheit, die eigentlich zwingend da sein müsste, weil eine Prognose kann meistens so eindeutig nicht geliefert werden. Und selbst Diagnosen, die als schwerste Beeinträchtigungen gelten, haben ein unglaublich vielfältiges Entwicklungspotential. Diese schematische Darstellung ist das Problem, das viele Menschen mit Behinderung mit diesem sehr verengten medizinischen Narrativ haben."

Prof. Sauerland ging zunächst auf die Fruchtwasseruntersuchungen ein, denen sich schwangere Frauen aus Angst vor einem behinderten Kind unterziehen würden. Der Bluttest biete hier den Vorteil, den Frauen die invasive Methode einer Amniozentese zu ersparen. In der Kassenzulassung und einer damit einhergehenden vom IQWiG erstellten Informationsbroschüre sieht er den Vorteil, die werdenden Eltern unabhängig von Hersteller-, berufspolitischen oder weltanschaulichen Interessen zu informieren und so die "Angst in rationale Bahnen zu lenken".

Anmerkung: Das IQWiG erarbeitet aktuell im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags eine Versicherteninformation zum Bluttest auf Trisomien. Die Veröffentlichung des ersten Entwurfs ist für Februar 2020 geplant. Dieser Entwurf steht dann zur Stellungnahme. An diesem Stellungnahmeverfahren kann sich jede natürliche oder juristische Person beteiligen, es läuft vier Wochen lang. Die Zulassung des Bluttests ist an die Veröffentlichung der Versicherteninformation geknüpft. Sobald der Entwurf veröffentlicht wird, finden Sie in hier:
Link Versicherteninformation zur Pränataldiagnostik

Der grundsätzliche Ablauf des Stellungnahmeverfahrens ist hier beschrieben: Link zum Stellungnahmeverfahren beim IQWiG

Die Moderatorin Tina Sander entgegnete, dass bereits heute das Gendiagnostikgesetz klar regle, dass nicht-direktiv und ergebnisoffen beraten werden müsse, die bessere Information also kein schlagendes Argument für die Kassenzulassung sei. An Kirsten Achtelik ging die Frage, ob es nicht zu kurz greife, immer nur von der  Angst der einzelnen Frau zu sprechen – oder ob das nicht vielmehr die Individualisierung einer gesellschaftlichen Problematik bedeute:

"Die gesellschaftliche Behindertenfeindlichkeit ist ein großes Problem, die Unterversorgung von Menschen mit Behinderung in allen Sozialsystemen ist ein großes Problem. Da ran zu gehen, wäre ja aber teuer, das wäre ja eine ganz andere Debatte und ein ganz anderer Kostenfaktor, als eine Broschüre zu erstellen und zu sagen – was in Bezug auf die Selbstbestimmung der Frau auch Sinn macht – wenn sie das schon selber entscheiden muss, dann soll sie das wenigstens gut beraten selber entscheiden", so Achtelik dazu.

Zum Abschluss dieser Fragerunde betonte Corinna Rüffer, dass die Entwicklung der Pränataldiagnostik eine Frage sei, die existentiell die Zukunft unserer Gesellschaft insgesamt berühre:

"Die Leute gehen zum Arzt und finden es normal, diesen Test zu machen und es ist auch normal, dass daraus eine bestimmte Konsequenz erwächst, obwohl das so vom Gesetzgeber ja erstmal, wenn ich mir das Gendiagnostikgesetz durchlese, nicht vorgesehen ist. Da steht drin, wenn eine Untersuchung, eine genetische Untersuchung einen medizinischen Nutzen hat, dann soll sie gemacht werden. Ansonsten nicht. Jetzt möchte ich mal jemand hören, der mir sagt, worin der medizinische Nutzen besteht, eine Trisomie 21 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorauszusagen. Was passiert denn dann. Gibt es irgendeine Therapie gegen Trisomie 21? Wollen wir das als Gesellschaft überhaupt? Und das können wir auf andere Behinderungsarten auch beziehen. Und da ist ja der Beginn, wenn wir sagen, wir wollen in einer inklusiven Gesellschaft leben, dann müssen wir das in aller Offenheit in der Gesellschaft diskutieren und das heißt nicht, individuell einen Vorwurf zu machen, sondern nur klar den Blick darauf zu richten, wohin wir eigentlich steuern.

(...) Und an der Stelle gefällt mir die Argumentation von Herrn Hecken vom G-BA eben nicht, der sagt, nun ja, seit den 70er Jahren akzeptieren wir, dass wir die Fruchtwasseruntersuchung haben, was auch 'ne genetische Untersuchung ist, die im Kern auch selektiv wirkt, also nicht therapeutisch. Ich würde sagen, wir haben 2009, und das ist mir wirklich ernst, wir haben 2009 die Behindertenrechtskonvention ratifiziert, wir haben gesagt, dass Menschen mit Behinderung die gleiche und volle Teilhabe in der Gesellschaft genießen, da reden wir über Menschenrechte, und wenn wir sehen, dass eine gesellschaftliche Regelung, die wir mal vereinbart haben, das ist in den 70er Jahren auch ganz offen formuliert worden, da gab es in der Bayerischen Staatskanzlei Leute, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, die haben gesagt, wir brauchen eine Pränataldiagnostik, weil das immens Kosten spart in der Eingliederungshilfe. Da hat man ganz offen gesagt, worum es geht, um die Vermeidung nicht von Behinderung, sondern von Menschen mit Behinderung. Es geht darum Menschen zu vermeiden, weil sie Kosten aufwerfen können. Mit der Frage, wie der Bluttest wirkt oder nicht, haben wir uns nicht deshalb auseinandergesetzt, weil wir sagen, es gibt jetzt eine Testmethode, die nicht so invasiv ist wie die Amniozentese, sondern weil Herstellerfirmen die Anträge entsprechend stellen und Geld damit verdienen. Es wird Geld damit verdient, in diesem Bereich und deshalb ist die Diskussion so wichtig."

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Die Dynamik der Kassenzulassung

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Tina Sander: "Jetzt haben wir die Situation, dass wir mit der Kassenzulassung einen marktgetriebenen Faktor in die Pränatalmedizin reingebracht haben, der eine unheimliche Dynamik in die Entwicklung bringt. Ich habe Angst, dass uns die Marktkräfte die Zeit rauben, die gesellschaftlichen Fragen zufriedenstellend diskutieren zu können. Weil da Fakten geschaffen werden, denn sobald so eine Leistung in den Katalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wird, die Nachfrage auch steigt, eben weil die Anwendung normal wird. Wir verschieben damit ja auch den Bedeutungsrahmen, indem wir das in die normale Schwangerenvorsorge aufnehmen. Das ist jetzt nicht mehr so eine ganz vereinzelte Geschichte, sondern das ist Standard und kein großes Ding mehr. (...) Die dritte Fragerunde beschäftigt sich jetzt mit der Dynamik, die durch diese Kassenzulassung entsteht: Was ändert sich, wenn der Bluttest Kassenleistung wird?"

Dr. Gerda Enderer-Steinfort: " Da (bei den Patientinnen) haben wir eine Vielfalt von Auffassungen, Meinungen, Ängsten, Gleichgültigkeit, Optimismus, Alles, was sie sich vorstellen können. (...)   Die richten sich nach unserer Empfehlung, das würde ich mal annehmen. (...)  Es wird wahrscheinlich so werden, dass der NIPT an die Stelle der Amniozentese gesetzt wird, was die Diagnose anbelangt. Davon gehen wir eigentlich aus. Wir haben ja eine Indikationsliste. Also die Amniozentese bekommt jeder, der entweder einen auffälligen Befund im Ultraschall hat oder der ein bestimmtes Alter überschritten hat. Wobei diese Altersgrenze Blödsinn ist, weil die meisten Leute heute 35 Jahre alt sind, also das ist auch nicht mehr ganz zeitgemäß. Also das wird nicht automatisch Jedem angeboten."

Kirsten Achtelik: "Ich seh‘ das so ein bisschen anders, wie oft diese Tests Schwangeren angeboten werden. Man muss sagen, der G-BA hat es sehr geschickt gemacht, was sie jetzt in die Mutterschaftsrichtlinien reingeschrieben haben, die nächstes Jahr in Kraft treten werden. Da steht nämlich nicht irgendein Risikowert wie in vielen anderen Ländern, darüber könnte man auch diskutieren, das ist auch schwierig. Aber wir haben keinen konkreten Risikowert, nach dem Frauen, Schwangeren das angeboten wird. Sondern wir haben die Formulierung, wenn es den Frauen nicht zumutbar ist, diese Angst auszuhalten, die sie vor der Trisomie haben oder die Angst vor der Amniozentese oder beides, dann ist das die Indikation. Und da steht keine Indikationenliste, da steht kein Alter, sondern da steht der Begriff „nicht zumutbar“. Auch für die Amniozentese gibt es eine sogenannte Angstindikation auf eine Art, die nicht in der Liste steht.

(...) Also wir haben schon jetzt die Praxis auf verschiedenen Ebenen, dass mit dem Argument „ich habe Angst vor einer möglichen Beeinträchtigung meines werdenden Kindes“ alles Mögliche abgerechnet werden kann und das ist auch im G-BA das akzeptierte Argument. Clevere Schwangere, die das bezahlt haben wollen, Frauenärztinnen, die finden, dass das Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Frau ist, diese Tests in Anspruch zu nehmen, werden das nutzen. Und dann nicht nur für die Trisomie 21, sondern alle weiteren Tests, die da in der Pipeline sind. Das ist eine Riesendynamik, die da auf uns zukommt und da müssen wir auch noch mal ganz anders über diese vermeintliche Angst sprechen und wie man die eigentlich bekämpfen müsste, nämlich mit einer ganz anderen Behindertenpolitik."

Rebecca Maskos: "Aber ich würde sagen, es kann nicht sein, dass man einen Test, der ein diskriminierendes Potential hat, von der Krankenkasse bezahlt kriegt. Wenn man sich überlegt, würde da jetzt z.B. nach Geschlecht gefragt werden, wie das ja tatsächlich in China, in Armenien und in Indien passiert und dann sagen „ja ich möchte das gerne auf Kasse haben“, da würde ja auch jeder sagen: „Ja nee, sorry, also gibt es in unserer Gesellschaft nicht“. Komischerweise aber bei Behinderung versteht das dann jeder, dass das doch ungerecht ist, wenn das nicht jeder auf Kasse kriegt. Also das sind so Dinge, da wird immer bei Behinderung einfach mit einem anderen Maß gemessen, so, und ich glaube da müssen wir ran an solche Debatten, die müssen wir führen, wir müssen wirklich klären, was ist denn eigentlich das, was jetzt Behinderung auf einmal zu einem problematischen Zustand zu einer problematischen Seinsweise sozusagen macht."

Prof. Stefan Sauerland: "Es wird von mehreren Faktoren abhängen. Zum einen der gesamte Rahmen ist die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Behinderten, das ist woran man arbeiten muss und das wird, darüber aber geben mir die Damen allerdings Recht, nicht von heute auf morgen gehen. Das zweite ist die Aufklärung, wie schon gesagt, das ist wichtig und da wird man viel arbeiten müssen. Das dritte sind dann natürlich auch finanzielle Aspekte. Der Test ist jetzt eine private Leistung, die Menschen zahlen müssen, das kann nicht jeder. Das bedeutet, wir haben bislang auch schon einen gewissen sozialen Gradienten in der Anwendung dieses Tests und das birgt das Risiko, dass z.B. ein behindertes Kind für seine Eltern eine Art sozialer Gradmesser ist und da glaube ich schon, dass die Solidargemeinschaft im Sinne einer Gleichheit der Gesellschaft oder zumindest im Versuch die soziale Ungleichheit auszugleichen in die richtige Richtung geht."

An dieser Stelle entstand eine lebhaft Diskussion zu dem Stellenwert, den das soziale Argument in der Debatte zum Bluttest einnimmt.

Corinna Rüffer: "Aarrrh – das Argument macht mich fertig! Schon ganz lange! Ich finde es ganz komisch. Also, die ersten die es aufgebracht haben, kamen von der FDP.

(...) Ja, und dass das von Leuten ins Feld geführt wird, denen sonst mit Verlaub relativ egal ist, wie das so mit unserem Gesundheitssystem aussieht! Jedenfalls, was diese Frage angeht, das habe ich noch nicht gehört, dass wir wieder Brillen finanzieren, also andere Leistungen, die dann richtig ins Geld gehen, ja, die auch soziale Folgewirkungen haben. In der Tat würde ich von diesen selben Leuten also erwarten, dass Sie an anderen Stellen genauso vehement argumentieren.

Und das zweite ist aber aus meiner Sicht noch viel relevanter: Aus meiner Sicht ist das Gesundheitssystem dazu gedacht, Leute gesund zu machen, Therapien zu finanzieren, die Sie gesund machen und dazu ist dieser Test einfach nicht gedacht! Und jetzt in diese Frage, die eine ganz fundamentale Frage ist, die soziale Frage hinein zu vermischen und die plötzlich in den Vordergrund zu rücken, halte ich für einen ganz elementaren Fehler. Aber es passiert an vielen Stellen komischerweise in Verbindung mit diesem Test, wo dann plötzlich nicht mehr über die fundamentalen ethischen Fragen geredet wird, sondern diese Fragestellung der Kassenfinanzierung dann zu einer sozialen Frage hochstilisiert wird und das kann ich überhaupt nicht verstehen."
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Perspektiven

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Tina Sander: "Wir haben ja jetzt über einige Themen gesprochen: Über die gesellschaftliche Angst vor dem Kind mit Behinderung, über problematische Narrative von Behinderung im medizinischen Kontext, über Systemlogiken und Handlungszwänge in der pränatalmedizinische Praxis, über Dynamiken, die eine Kassenleistung in Gang setzen kann. Das sind alles Faktoren, die das Potenzial haben, die Geburtenrate von Kindern mit Trisomie 21 vermutlich nahe an die Nullgrenze zu bringen.

Wir haben im vorgeburtlichen Bereich also ein hochselektives System erschaffen. In der Debatte sind sich glaube ich alle einig – egal, wo sie sich in der Frage nach der der Kassenzulassung positionieren, dafür oder dagegen – dass alle vorweg schicken: „Wir möchten nicht selektieren, natürlich möchten wir nicht selektieren!“. Also meine Frage: Ist das jetzt das neue “Keiner hat die Absicht eine Mauer zu bauen!“ oder meinen wir das Ernst? Und wenn wir uns wirklich nicht vorgeburtlich einer Spielart des Menschseins entledigen wollen, dann möchte ich zum Abschluss gerne kurz von jedem einen Vorschlag: Was müssen wir jetzt tun?"

Kirsten Achtelik: "Im Bereich Pränataldiagnostik würde ich wirklich ganz hart sagen: Das, was von der Kasse finanziert wird, ist eigentlich über das Sozialgesetzbuch V geregelt. Das hat Frau Rüffer jetzt mehrfach gesagt, das dient der Heilung, das ist ein medizinischer Zweck. Und weder der Pränataltest noch die Fruchtwasseruntersuchungen dienen einem medizinischen Zweck. Außer man sagt halt – dann sind aber wieder bei der Angst – die Angst ist so schlimm, dass sie mit dem Test bekämpft werden muss. Aber was ist z.B. mit der Angst vor Hautkrebs? Dann sind wir wieder bei ganz anderen Angstfragen, die Leute haben. Wieso ist die Angst von Schwangeren vor Behinderung so viel wichtiger zu bekämpfen für das Gesundheitssystem, als so viele andere Ängste? Also, wenn Angst zu bekämpfen Ziel des Gesundheitssystems ist, dann möchte ich sehen was die Kassen alles finanzieren."

Corinna Rüffer: "Dass wir diesen Prozess, diese Diskussion, die wir heute führen über die Entwicklung der Pränataldiagnostik, dazu nutzen, um tatsächlich das Menschenrecht der Inklusion voranzubringen, mit all dem was dazu gehört. Nämlich tatsächlich Eltern zu entlasten in allen wichtigen Lebensbereichen. Viele Eltern sind überglücklich mit ihren Kindern. Womit die nicht glücklich sind, sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die so schlecht sind und Gesetze, die so schlecht sind und uneindeutig, dass sie uns tatsächlich nicht von der Stelle helfen. Das ist der Moment, den wir nutzen sollten, um diese Debatte wieder nach vorn zu drehen und diese Gesellschaft­­­ zu modernisieren, uns nicht damit zufriedenzugeben, dass wir weiter selektieren müssen. Diese Gesellschaft muss sich fundamental ändern gerade in einer gesellschaftlichen Stimmung, die stark geprägt ist von Kräften, die sich menschenfeindlich verhalten."

Prof. Stefan Sauerland: "Ich kann mich dem anschließen. Teilhabe von Behinderten in der Gesellschaft, dafür sorgen, dass der Diskurs darüber die Einstellungen insgesamt ändert. Und konkreter auf NIPT jetzt bezogen, da muss das münden und muss zu ordentlichen Informationen und guten Entscheidungen führen."

Rebecca Maskos: "Wenn wir das ganz große Fass aufmachen, brauchen wir eigentlich eine andere Gesellschaft, in der wir alle nach unseren Fähigkeiten und Bedürfnissen leben können. Wenn das so wäre, dann würden viele dieser Ängste erst gar nicht entstehen. (...) Bis dahin müssen wir ganz konkret am Familienmodell arbeiten. Ganz konkrete Entlastungen für Familien, aber auch überlegen, ist denn dieses Modell „Mama, Papa, Kind“, in dem die Hauptbelastung meistens die Frauen haben, das einzig mögliche? Wie können wir denn Kindererziehung so umorganisieren, dass die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt wird?

(...) Dann inklusive Gesellschaft. Das Eine ist das Zusammenleben. Wichtig ist aber auch: Wie können wir dafür sorgen, dass die Botschaft verbreitet wird, dass Behinderung nicht das Gleiche ist wie Leiden? Denn das ist der Kern dieser Vorstellung: Behinderung ist immer leidvoll, immer ein schweres Schicksal, selbst wenn es inzwischen eine Vielzahl von anderen Bildern gibt, steckt das immer noch überall drin.

(...) Wir müssen wirklich von solchen Bildern wegkommen auch in den Debatten, die wir führen und wir müssen das tun, indem wir behinderte Menschen beteiligen. Leute wie wir müssen in diesen ganzen Gremien sitzen und wir müssen wahrscheinlich auch die Ärzte aufklären, weil die Beratungen im Großteil durch die Ärzteschaft passieren, und da müssen wir an die Ausbildung ran. Wenn ich daran denke, was da alles nicht vermittelt wird in der Ausbildung über Behinderung, dann ist das haarsträubend. Da kann man den Medizinern gar keine Vorwürfe machen, dass die das nicht wissen, wenn es ihnen im Studium nicht beigebracht wird."

Dr. Gerda Enderer-Steinfort: "Ich finde, dass spätestens seit 2010, als zwischen den beiden Leitbildern Selbstbestimmung versus Lebensrecht durch das Recht auf Nichtwissen ein halbwegs akzeptabler Kompromiss erreicht wurde, seit dieser Zeit gehört die Entscheidung für oder gegen ein Down-Kind in den absoluten und höchst persönlichen konfliktiven Bereich und hat überhaupt nichts verloren in einer gesetzlichen Krankenversicherung. "
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